Heinrich von Kleist: “Und was dein erstes Gefühl dir antwortet, das tue”

Zu Heinrich von Kleist und den Erstausgaben seiner Werke

Erscheinungsdatum: März 2011
Hardcover, 88 Seiten
Preis: 10 €
ISBN 978-3-9814074-0-2
Heinrich von Kleist, dessen 200. Todestag in Jahre 2011 lag, stand außerhalb der Literaturströmungen seiner Zeit: kein Aufklärer, kein Romantiker, kein Idealist, aber ein Literat, dessen Werke in unserer Zeit allenthalben spürbar sind: von Theateraufführungen, wissenschaftlichen Projekten bis hin zum festen Repertoire im Oberstufenunterricht. Kleist gilt als Meister der sprachlichen Form; die Personen seiner Werke stehen für die Verwirklichung des Individums im bürgerlichen Umfeld, selbst wenn der Preis – wie bei der „Penthesilea“ – zuweilen der eigene Untergang ist.
Kleists Erstlingswerk „Die Familie Schroffenstein“ sollte ursprünglich in Spanien spielen. Weswegen es mit Rücksicht auf die hiesigen politischen Verhältnisse zu Beginn des 19. Jahrhunderts anders kam, wird ebenso erläutert wie die Frage, welch vielfältige Druckgeschichte seine Werke hatten. Schließlich erfahren wir, dass sich Kleist auch der Herausgabe der ersten politischen Tageszeitung in Berlin widmete – zur Napoleonischen Besatzungszeit ein heikles Unterfangen.
Orientiert an der kurzen Lebenslinie Kleists wird in dieser Zusammenschau die Entstehungshistorie seiner wichtigsten Werke erzählt und mit den literaturwissenschaftlichen Kontexten, wie Quellen, Werksinhalten und Rezeptionsgeschichten, versehen. Der Fokus dieser Monographie liegt in der Gegenüberstellung der biographisch/ literaturwissenschaftlichen Informationen und den einzelnen photographisch aufbereiteten bibliophilen Merkmalen der Erstausgaben. Diese Art der Darstellung vermittelt über die buchästhetischen Charakteristika einen besonderen Einblick in die geistige Welt des Schriftstellers und damit kommt der Zusammenhang von literarischem Gehalt und Schönheit der Buchgestaltung zum Ausdruck.

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Rezension dieses Werkes, verfasst  von Dietmar Meyersiek:

Zur Zusammenschau der Kleist-Sammlung Schippan
Bücherabend im Heinrich-Heine-Institut, 23. November 2011

“Bücher können töten”, behauptet Martin Meyer, der Feuilleton-Chef der Neuen Zürcher Zeitung, und berichtet über Charles-Velentin Alkan, den exzentrischen Spätromantiker in der Nachfolge Liszts und Berlioz’: “Der damals schon ältere Herr habe nach dem Talmud gegriffen, der sich weit oben im Regal seiner Bibliothek aufhielt, worauf dieses unter Getöse auf ihn niedergestürzt sei und auf solche Weise sein leibliches Schicksal besiegelt habe.” (NZZ 22. 5. 2011)

Keine Angst – bei dem Büchlein, über das zu berichten ist, handelt es sich nicht um eine potenzielle Mordwaffe. Aber ein Teil seiner Entstehungsgeschichte verdankt sich einem Mord und einem Selbstmord. Vorgestern vor 200 Jahren erschoss Heinrich von Kleist am Kleinen Wannsee seine unheilbar an Krebs erkrankte Freundin Henriette Vogel und anschließend sich selbst.

Am Todestag resümiert Kleist in seinem Abschiedsbrief – der ja in den vergangenen Wochen ausgiebig zitiert worden ist – „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Und Henriette Vogel schreibt in ihrem letzten Brief an den gemeinsamen Freund, der den Nachlass und die Beerdigung organisieren soll: „Kleist und ich befinden uns gerade in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen da liegen.“

Alle zu Lebzeiten entstanden Werke Kleists hat unser Freund Schippan zum Gegenstand seiner Publikation gemacht. Sie sind Teil der Sammlung Alexander Schippan und sie enthält exquisite Erstausgaben Deutscher Literatur von der Zeit der Aufklärung bis zur Romantik. Ralph Schippan, Enkel des Sammlungs-Begründers, hat die Zusammenschau herausgegeben. Begleitende Texte zu Kleists Werken und Erstausgaben – von seinem Erstlingswerk “Die Familie Schroffenstein” über die “Penthesilea”, seine Erzählungen bis zum “Zerbrochenen Krug” – hat die promovierte Germanistin Tina Lachenmaier verfasst. Informativ und kenntnisreich und erläutert sie die Hauptwerke jeweils unter den Kapiteln “Historischer Kontext”, “Entstehung”, “Inhalt und formale Gestaltung”, “Wirkung” und “Aufführungen”. Schon die Überschriften regen zur Lektüre an: Zum Erstlingswerk heißt es: “Spanische Familientragödie vor schwäbischer Kulisse: Die Familie Schroffenstein”, und die Neugier auf “Amphitryon” wird geweckt mit der Formulierung: “Tragik und Komik des göttlichen Beischlafs”.

Ergänzt wird der Text durch mehr als ein halbes Hundert Fotografien mit Gesamtansichten und Textabbildungen, die ein Gefühl für die Schönheit der bibliophilen Exemplare vermitteln – ein Kleinod für Kleist-Liebhaber. Ich glaube, dass wir alle dazugehören. Wer erinnert sich nicht begeistert an Michael Kohlhaas, den Prinzen von Homburg, an die Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg, die Erzählung “Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen” oder die Bach-Anekdote:

Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbnis Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, alles durch seine Frau besorgen zu lassen; dergestalt, daß da ein alter Bedienter kam, und ihm für Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Tränen, den Kopf auf einen Tisch gestützt, antwortete: “Sagt’s meiner Frau.” –

Eine auch für mich zutreffende Zusammenfassung von Kleists Wirkung stammt von dem Ungarn Laszlo Földényi: “Wo ich sein Werk auch aufschlagen mag, Kleist trifft mich wie ein Stromschlag”.

Lassen Sie mich an der Schwelle zum digitalen Buch schließen mit einem weiteren Zitat von Martin Meyer:

“So bleibt das Buch, auch in Zeiten, die es ihm schwerer machen, und das häufiger beschworene Ende seiner Kultur mag sich dereinst als falsche Prophetie aus dem Geist eines Fortschritts erwiesen haben, der über dem Triumph des Neuen die Legitimität des Bestehenden vergessen hatte. Kein wacher Zeitgenosse wollte die Prämien der Digitalisierung in Abrede stellen. Sie sind da, hier und jetzt und morgen noch mehr, im kühlen Ambiente eines Verfügens, das – pardon: jeglichen erotischen Ornaments entbehrt. Man musste kein Bibliomane gewesen sein, um sich an den Objekten der Begierde oder immerhin an der Freude des Anfassens und Umblätterns begeistert zu haben. [Hier kam sogar Akustisches zum Zug].

Seien wir abermals ehrlich: Die Bücher der digitalen Bibliothek sind das Gegenteil von sexy. Doch Mischehen sind im Vormarsch, wer klug ist und vernünftig haushaltet, verbindet das eine mit dem anderen. Er sucht und findet sein Vergil-Zitat im Netz und findet freilich noch vieles Weitere und Interessante, während er ein Zitat aus Ruskins «Stones of Venice» in der wunderbaren deutschen Ausgabe erblättert, die der Verlag von Eugen Diederichs um die Jahrhundertwende zu Leipzig publizierte. Diese Edition, es erfüllt uns mit stillem Glück, ist selten. Der Buchschmuck ist von sanftem Jugendstil. Bei längeren Ruhezeiten im Regal legt sich Staub über den Schnitt. Bevor wir ihn entfernen, wurde er mit Respekt begrüsst: Er hatte in jeder Beziehung einen vornehmen Standort gewählt.”

Und so ist das heute vorgestellte Buch von Ralph Schippan ein schönes Zeugnis für die Kultur des Bewahrens und Erinnerns.

Dietmar Meyersiek