Von Romerias und Guachinchen (Ralph Schippan über Teneriffas Lebenskultur)

Teneriffa kennen die meisten als touristisches Reiseziel, in vier bis fünf Flugstunden von Deutschland aus erreichbar, vor allem durch das Attribut “Insel des ewigen Frühlings“. Es gibt dort mannigfaltige Freizeitmöglichkeiten, vom Wassersport bis hin zu den beliebten all-inclusive Exzessen. Etwa 1 Million Menschen, davon ca. 20.000 deutsche Residenten, leben dauerhaft auf der Insel und jährlich kommen etwa 6,5 Millionen Touristen dazu. Im Folgenden geht es nicht um einen Reisebericht, sondern ich will diese Insel aus einem anderen Blickwinkel zeigen: es soll um die Natur gehen, die territorialen Gegebenheiten und vor allem auch um die Geschichte und das heutige Leben der Canarios. Damit soll dieser Vortrag ein kulturell geprägter Beitrag sein, allerdings ist – um dies vorauszuschicken – Kultur im kanarischen Sinne immer auch als Brauchtum, Folklore und vor allem als eine innige Verschmelzung von künstlerischen Ausdrucksmitteln mit der Natur zu verstehen.

1. Teneriffa – eine Insel der Glückseligen
Teneriffa ist die größte der sieben Inseln, die den Kanarischen Archipel bilden. Sie liegt etwas nördlich des Wendekreises des Krebses, zwischen dem 28. und 29. nördlichen Breitengrad in relativ zentraler Position zwischen den anderen Inseln Gran Canaria, Fuerteventura, Lanzarote, La Gomera, La Palma und El Hierro. Zum Afrikanischen Kontinent sind es nur etwas mehr als 300 Kilometer, hingegen 1300 Kilometer zum Süden der zur Iberischen Halbinsel.
Teneriffa hat drei Küsten. Im Norden liegt der grüne und im Winter etwas regenreichere Teil, im Südwesten und Südosten sind die beliebten schwarzen Sandstrände mit ca. 350 Sonnentagen im Jahr aber eher karger Landschaft. In ihrer Mitte erhebt sich der riesige Vulkankegel Pico del Teide, der mit seinen 3.718 Metern der höchste Punkt ganz Spaniens ist, oft schneebedeckt.

Um die Historie der Insel ranken sich Mythen: So wurden im 19. Jhdt. die Kanarischen Inseln auch mit dem von Platon detailliert beschriebenen untergegangenen Inselreich Atlantis in Verbindung gebracht. Der französische Naturforscher und Geograph Bory de Saint-Vincent mutmaßte, dass unter anderen auch die kanarischen Inseln Überbleibsel von Atlantis seien, und dass die Guanchen, jene indigenen Bewohner der Kanarischen Inseln, die Überreste der Atlanter seien. Er positionierte Atlantis zwischen den 12. und 41. Breitengrad und fertigte diese Karte an, die einen ungefähren Umriss einiger Teile seiner Küste zeigt.

In der Antike war die Meerenge von Gibraltar, wegen ihrer starken Strömungen gefürchtet, die Grenze der bekannten Welt, die „Säulen des Herakles“. Dennoch berichtet die griechische Mythologie, dass Herakles im Zuge seiner Aufgaben, die ihm vom Orakel von Delphi aufgetragen wurden, weiter hinaus musste: er beschaffte in den Gärten der Hesperiden, die auf den Kanarischen Inseln verortet sein sollten, die Unsterblichkeit bringenden Äpfel.

Plinius der Ältere – und jetzt wird es konkreter – berichtet im 1. Jahrhundert nach Chr. in seiner Enzyklopädie naturalis historia von einer Expedition des mauretanischen Königs Juba, der als Andenken von den Inseln ein paar riesige Hunde mitgebrachte. Der Begriff Can oder Canes (Hund) ist daher eine Lesart für den Ursprung des Namens des Archipels. Noch heute gibt es Exemplare dieser Jagdhundrasse (bestia canaria) auf der Insel, die auch auf beiden Seiten das Wappen der Kanarischen Inseln stützen. Eine andere Lesart führt den Namen auf den Eigennamen Canarii für einen berberischen Volksstamm aus dem Nordosten Afrikas zurück. Plinius selbst erwähnte diesen Namen in einem anderen Text. Möglicherweise wurde er daraus übernommen.
Jedenfalls war Plinius der erste, der die Inselgruppe als fortunatae insulae also ‚Inseln der Glückseligen‘ bezeichnet. Daher werden die Kanaren zusammen mit den Inselgruppen Azoren (Portugal), Madeira (Portugal), Ilhas Selvagens (Portugal) und den Kapverdischen Inseln bis heute auch als Makaronesien (griech. μακάρων νῆσοι) bezeichnet.

Die Lage der Kanarischen Inseln als das finis mundi, also das westliche Ende der damals erreichbaren Welt, hatte auch Konsequenzen für die Vermessungskunde: zurückgehend auf den Astronomen Ptolemäus war der sog.  Ferro-Meridian, definiert durch die westliche Spitze der Kanareninsel Ferro (El Hierro), in Europa vom 16. bis ins 19. Jahrhundert der am weitesten verbreitete Nullmeridian. Nach ihm sind die Koordinaten zahlreicher Navigations- und Landkarten dieser Zeit ausgerichtet. Ein Vorteil dieser Längenzählung waren positive Werte für ganz Europa. Erst 1884 wurde Greenwich als neuer Bezugspunkt vereinbart und in Deutschland wurde 1923 der Nullmeridian von Ferro im Rahmen des Übergang der Landesvermessung auf Gauß-Krüger-Koordinaten durch denjenigen von Greenwich ersetzt.

2. Teneriffa als Biosphäre
Teneriffa ist eine Insel vulkanischen Ursprungs, die am Ende des Tertiärs entstand, also vor etwa sieben Millionen Jahren. Da erhoben sich die Zonen von Teno, Anaga und Adeje aus dem Meer, die später über die Cordillera Dorsal (mittlerer Berggrat) miteinander verbunden wurden. Das Zentrum der Insel bildet der Vulkankrater der Cañadas und der Kegel des Teide.

Statisch gesehen ist das kanarische Archipel ein schwindelerregender geologischer Komplex. Das erkennt man, wenn man sich einmal die Topologie der Inseln ohne die sie umgebenden Wassermassen vergegenwärtigt: Die Inseln stehen nicht – wie andere Inselgruppen – auf einem gemeinsamen erhöhten Buckel, der den Abstand vom Meeresboden bis zur Oberfläche verkürzt, sondern die sechs Inselgebäude – Lanzarote und Fuerteventura, die einem gemeinsamen breiten Sockel aufsitzen, als Einheit betrachtet – erheben sich getrennt voneinander aus dem Meeresboden, der an dieser Stelle drei- bis viertausend Meter tief unter der Meeresoberfläche liegt. Die Wassertiefe zwischen Lanzarote bzw. Fuerteventura und Afrika beträgt meist weniger als 1200 m. Nach Westen fällt die Plattform steiler bis auf über 4000 m ab, wodurch die zwischen den Inseln liegenden submarinen Senken tiefer werden. Ähnlich verhalten sich auch die Höhen der einzelnen Inseln. Die niedrigsten Höhen verzeichnen Lanzarote (654m) und Fuerteventura, wohingegen in den westkanarischen Inseln mit um die 2000 m größere Höhen erreicht werden, Teneriffa liegt mit 3700 m noch deutlich darüber.

Es stellt sich unwillkürlich die Frage, was passiert, wenn von diesen „insulären Wolkenkratzern“ (C. Müller) gelegentlich das eine oder andere Stück herunterbricht. Es gab vor ca. 15 Jahren eine apokalyptisch anmutende Untersuchung, in der behauptet wurde, dass durch einen möglichen Flankenabsturz an der Cumbre Vieja auf der besonders fragilen Insel La Palma die Region um New York von einem gewaltigen Tsunami mit einer Wellenhöhe von 15 bis 20 m bedroht sei. Neuere geomorphologische Untersuchungen, u.a. von der Universität Bayreuth, lassen dieses Szenario aber als eher unzutreffend erscheinen. Wenn aber infolge vulkanischer Aktivität eine riesige Steinlawine ins Meer donnert, wird damit sicherlich eine gigantische Welle im näheren Umfeld der Kanaren auslöst.

Vulkanische Aktivitäten treten nämlich bis hin in unsere Gegenwart immer wieder auf. Zuletzt war im Oktober 2011 vor der Südküste von El Hierro auf dem Meeresboden in 300 Metern Tiefe Magma ausgetreten und dadurch ein neuer Unterwasservulkan entstanden, der sich sukzessive erhob. Seine Spitze liegt jetzt nur rund 80 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Ein Expertenkomitee ist inzwischen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ausbruch beendet sei. Das NASA-Satellitenbild zeigt eine unterseeische Vulkaneruption vom Februar 2012 vor dem Fischerort Restinga im Süden der Insel.

Die letzte Eruption, die auf Teneriffa erfolgte, war die des Vulkans Chinyero: sie begann am 18. November 1909 und dauerte 10 Tage. Dabei wurden über 2 km² Land durch Lava und Asche verwüstet, Menschen kamen aber nicht zu Schaden.

Ein besonderes Highlight für Vulkanismus-Forscher ist die „Cueva del Viento-Sobrado“ bei Icod de los Vinos auf Teneriffa. Sie ist mit 17 Kilometern die längste Lavahöhle Europas. Seit Juni 2008 ist sie für Besucher geöffnet und bietet eine atemberaubende, von der Natur geschaffene Kulisse. Bei den Erkundungen fanden die Wissenschaftler in den Höhlen Hinweise auf ausgestorbene Riesenechsen und -ratten. Diese lebten allerdings nicht in den Höhlen selber sondern waren wohl unfreiwillig in das Höhlensystem gelangt. Durch die klimatischen Bedingungen blieben die Überreste der Tiere so gut erhalten, dass diese ausgestorbenen Arten erforscht und als endemische Tierart anerkannt werden konnten.

Das zu jeder Jahreszeit milde und gemäßigte Klima Teneriffas mit Durchschnittstemperaturen zwischen 17 und 18º im Winter und 24 bis 25º im Sommer ist von den vorherrschenden Winden, den Passatwinden, dem extrem steilen Relief der Insel und den kalten Meeresströmungen bestimmt. Das jeweilige Mikroklima hängt allerdings vor allem von der Höhe, aber auch von der Lage, Nord- oder Südseite der Insel, ab.

Auf der Nordseite, im Bereich unterhalb von 200 Höhenmetern, herrscht das ganze Jahr über eine gleichmäßige Temperatur zwischen 19 und 23 Grad. In diesen Zonen finden sich die wichtigsten Anbaugebiete der Landwirtschaft, vor allem Bananenplantagen. Darüber, zwischen 200 und 600 m, herrscht ein relativ trockenes mildes Mittelmeerklima und die Temperaturen schwanken zwischen 16 und 21 Grad. Dort gedeiht vor allem Wein. Bevorzugte Rebsorten, die man außerhalb Teneriffas kaum antrifft, sind Listan Negro und Negramoll für den Rotwein und Listan Blanco und Malvasia für den Weißwein.

In der Passatwolkenzone zwischen 600 und 1500 Meter ist im Allgemeinen ein feuchtes Klima mit mittleren Temperaturen bei 12 bis 16 Grad. Das ist das Gebiet des Lorbeerwaldes. Oberhalb von 1500 m (Kiefernwald) bis hin zu den Gipfellagen des Teide gibt es extreme Temperaturunterschiede, im Winter oft um oder unter 0 Grad und im Sommer teilweise über 35 Grad. Die Vegetation ist sehr spärlich.

Die Temperaturen an der Küste im Süden liegen im Sommer oft über 30 Grad.
In der Regel bestimmt die Passatwindlage das Klima. Es kann aber auch, vor allem im Sommer, zu Extremhitzeperioden kommen (Calima), in den eine östliche Windlage von der Sahara her herrscht. Trockene Hitze, eine austauscharme Wetterlage mit Temperaturen von über 40 Grad sind die Folge. Zumeist sind dann die oberen Lagen wegen akuter Waldbrandgefahr gesperrt.
Die vielfältigen Mikroklimata und die demzufolge entstehenden natürlichen Habitate spiegeln sich in der Vegetation der Insel wider, die durch eine reiche, vielseitige Flora gebildet ist (ca. 1400 Arten höherer Pflanzen), von denen viele Endemiten sind. Mit diesem Pflanzenreichtum weist Teneriffa die meisten bodenständigen Spezies von ganz Makaronesien auf.

Die verschiedenartigen vulkanischen Materialien, kombiniert mit den Klimaeinflüssen, sind auch die Grundlage für außerordentlich verschiedenartig gestaltete Ökosysteme. Besonders erwähnenswert ist das Hochgebirge mit seinen auch wissenschaftlich bedeutenden endemischen Pflanzen, nämlich Natternkopf (Tajinaste), Teideginster, Teide-Veilchen.

Das Anaga-Gebirge im Nordosten der Insel wurde kürzlich zum ersten UNESCO-Biosphärenreservat von Teneriffa deklariert. Biosphärenreservate sind Ökosysteme auf dem Land, im Meer oder an der Küste, in denen innovative Praktiken zum Erhalt der biologischen Vielfalt und ihrer nachhaltigen Nutzung in Einklang und in Absprache mit der lokalen Bevölkerung eingesetzt werden. Nicht klassischer Umweltschutz steht im Vordergrund, sondern das Zusammenleben von Mensch und Natur. Der Mensch wird nicht als Eindringling, sondern als Teil der Natur betrachtet.

Im Anaga leben etwa 22.000 Menschen, die sich vornehmlich mit Landwirtschaft und Fischerei beschäftigen. Besonders die Ziegenhaltung ist weit verbreitet. Außerdem sorgen einige Bewohner für die Aufforstung der Waldgebiete. Das Anaga-Gebirge beherbergt eine Vielzahl von Tierarten, darunter Reptilien, Vögel und Fische, sowie tausende Arten von wirbellosen Tieren und ist ein wahres Paradies zum Wandern. Bei Streifzügen durch die abwechslungsreiche Landschaft kann man hier meist völlige Stille genießen, denn dieses Gebiet wird von Aktivurlaubern längst nicht so häufig frequentiert wie beispielsweise der Teide-Nationalpark. Für mich ist dieser Bereich der Insel auch ein Ziel, wenn ich Menschen beim Wandern begleite, die sich bewusst für einige Zeit nach Teneriffa absetzen, um in diesem inspirierenden Naturambiente zur Ruhe zu kommen oder um neue Ideen für ihre beruflichen Themen zu entwickeln.

3. Von „Nivaria“ zum „Cabildo“: Historischer Abriss
Teneriffa trug in der Antike auch die Bezeichnung Nivaria, die Schneebedeckte. Die Silhouette des riesigen schneebedeckten Berges, der von Ferne aus sichtbar war und noch über den hohen Wolken herausragte, musste jene frühen Seefahrer sicher beeindruckt haben, zumal in diesen Breitengraden.

Bis zu ihrer Eroberung durch die Europäer, die fast das ganze 15. Jahrhundert in Anspruch nahm, hatten die Inseln eine Bevölkerung, die afrikanischen Ursprungs war, die Guanchen. Ihre Besiedelung ist nachweisbar seit ca. 800 v. Chr.. Wahrscheinlich waren sie berberischer Abstammung, hierauf lassen anatomische und sprachliche Gemeinsamkeiten schließen.

Im Zeitraum zwischen dem Leben von Plinius und dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts versinkt Teneriffa aus europäischer Sicht in eine Bedeutungslosigkeit. Wir verfügen über keinerlei Informationen über Expeditionen oder ähnliches. Offensichtlich haben die Guanchen, die keine Seefahrer waren, in einer Art steinzeitlicher Kultur über 12 Jahrhunderte unter sich gelebt. Ihre Sprache starb zwar nach der spanischen Eroberung aus. Allerdings haben sich bis heute einige Elemente davon im Kanarischen Dialekt gehalten. Viele Ortsbezeichnungen auf den Kanaren sind guanchischen Ursprungs, ebenso sind noch Vornamen verbreitet. Eine Kuriosität ist El Silbo: das war die Pfeifsprache der Guanchen, mit der sie sich im unwegsamen Gelände über Schluchten hinweg verständigten. Sie ist heute noch auf der Insel La Gomera gebräuchlich.

Im Jahre 1402 beginnt die Eroberung Teneriffas, zunächst durch einen vergeblichen Versuch des Normannen Jean de Béthencourt, dann 1492 durch den kastilischen Statthalter Alonso Fernández de Lugo. Auch er erleidet zunächst in der Region von Acentejo eine Niederlage (La Matanza) im Kampf gegen die Ureinwohner. Einige Jahre später gelingt ihm schließlich der Sieg an gleicher Stelle (La Victoria). Mit Portugal, das damals weitaus erfolgreicher agierte als die Kastilier und das viele andere Gebiete Makaronesiens für sich gewinnen konnte (Madeira, Cabo Verde, Azoren), kam es 1498 zu einer Vereinbarung, mit der die Kanaren Spanien zugeschlagen wurden.
Nach dem Zusammenbruch des Spanischen Weltreiches zu Beginn des 19. Jhdts. gewannen englische Unternehmer auf Gran Canaria und Teneriffa an Gewicht, von denen sich viele schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts als Händler niedergelassen hatten. Der Beginn des heute so umfassenden Tourismus war eher bescheiden. Etwa ab 1860 versuchten einige hundert hüstelnde Ladys und Gentlemen ihre Leiden im idyllischen Puerto de la Cruz auf Teneriffa zu kurieren. Später etablierte sich ein britannischer Schiffstourismus, der allerdings 1936 mit dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges zum Erliegen kam. Erst ab 1960, mit dem Beginn des Düsenjet-Zeitalters, kamen die Inseln wieder in das Blickfeld der jetzt sonnen- und strandsuchenden Europäer. Und dann ging alles ganz schnell … Heute stehen die Inseln allerdings vor der schweren Aufgabe, ihren Tourismus neu zu erfinden. Viele Hotels aus den 60er Jahren sind sanierungsbedürftig, die Ansprüche der Touristen verändern sich. Daher gibt es derzeit Tendenzen, neben den Pauschaltouristen und den Kreuzfahrturlaubern vor allem auch sportliebende (und zahlungskräftige) Menschen der Generation 40+ anzusprechen mit Triathlon, Mountain Biking und gehobenen kulinarischen Angeboten. Auch der Neubau von Luxus-Hotels und die Nachfrage nach privaten Immobilien kommt vor allem in den letzten Jahren wieder in Gang. Das BIP der Insel wird zu über 40 % durch den Tourismus bestimmt, daneben spielt die Landwirtschaft, hauptsächlich der Anbau von Bananen, Kartoffeln, Tomaten, Blumen, eine deutlich geringere Rolle.

Am 28. August 1982 wurde das Autonomiestatut der Kanarischen Inseln im Gesetzblatt der Spanischen Regierung veröffentlicht. Wenn man die flüchtige Erste spanische Republik (1873) außer Betracht lässt, weil sie kaum Spuren hinterließ, und auch die Zweite Republik (9.12.1931-18.7.1936) wegen des Bürgerkriegs nicht mehr dazu gekommen war, auf den Inseln regionale Institutionen einzurichten, waren die Wahlen von 8. Mai 1983 eine absolute Premiere für die Canarios. Am 30. Mai 1983 konstituierte sich das erste frei gewählte kanarische Parlament.

Doch innerhalb der spanischen Nation und dazu innerhalb der EU einen politischen Ort zu finden, ist für die kanarische Politik, die immer auch einen Hauch von Außenpolitik in sich trägt, nicht einfach. Erst langsam entwickelt sich die politische Identität einer gemeinsamen “kanarischen Nation”, immer wieder gibt es auch Tendenzen zu einer Wiedererlangung der Unabhängigkeit von Spanien.

Die Autonome Regierung der Kanarischen Inseln ist eine der siebzehn „comunidades autonomas“, die den spanischen Staat bilden. Im Vergleich zu den anderen Gebieten der EU gibt es einige Besonderheiten: statt der spanischen Mehrwertsteuer gilt hier eine Inselsteuer, die IGIC (Impuesto General Indirecto Canario), die zu Zeit bei fünf Prozent liegt. Teneriffa ist außerdem eine sog. Sondersteuerzone der Europäischen Union. Das führt zu einer Reduzierung der Körperschaftssteuer, wenn Unternehmen sich verpflichten, bestimmte Mindestinvestitionen zur Belebung der einheimischen Wirtschaft vorzunehmen. Beide Provinzhauptstädte, Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas de Gran Canaria, üben gemeinsam die Funktion der politischen Hauptstadt aus. Jede der Inseln des Archipels verfügt zudem über ein eigenes Regierungsorgan, das Cabildo Insular.

4. Europa, Afrika oder Südamerika?
Die Geschichte der Insel ist bis heute auch eine Geschichte von Migration. Sie nachzuvollziehen erleichtert das Verständnis für die Einordnung Teneriffas zwischen den Welten Europas, Afrikas und Südamerikas. Die Zugehörigkeit zu Spanien und damit zur EU führt zu einer entsprechenden Sicherheit und politischen Stabilität. Infrastruktur und Versorgung mit allen Gütern des täglichen Bedarfs haben europäischen Standard. Die territoriale und damit klimabestimmende Nähe ist demgegenüber das einzige, was die Insel heute mit Afrika verbindet. Es gibt derzeit nur wenige Direktflugverbindungen dorthin – Flüge nach Süd- oder Ostafrika gehen immer über Madrid. Sehr viel größer hingegen und auch – wie wir sehen werden – im kanarischen Alltag präsent ist die kulturelle Nähe zu Südamerika und der Karibik. Die Wurzeln hierfür wurden früh gelegt: 1536 zieht Pedro Fernández de Lugo, der zweite Statthalter der Kanarischen Inseln aus, um Südamerika zu erobern. Er gründet u.a. die Stadt Tenerife am Ufer des Flusses La Magdalena (Kolumbien), bekannt aus dem Roman „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marquéz.

Eine weitere Person macht sich zu Beginn des 17. Jhdts von Teneriffa aus auf, um Weltbedeutung zu erlangen: Pedro de San José de Betancur. Er verlässt mit 23 Jahren die Insel mit der Absicht, eine Pilgerreise zu machen. Als er zwei Jahre später in Guatemala, in Mittelamerika, ankommt, tritt er jedoch einem Franziskanerorden bei und betätigt sich fortan als Missionar in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie unter Arbeitslosen und Sklaven. Mit Spendengeldern eröffnet er das Krankenhaus „Unsere Frau von Bethlehem“ in La Antigua Guatemala, das noch heute besteht. Nach Teneriffa kehrt er nicht mehr zurück. 2002 wird er von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen und somit ist er, der sich später Santo Hermano Pedro nennt und in Guatemala sehr verehrt wird, der erste Heilige, der auf den kanarischen Inseln geboren wurde.

Im Jahr 1725 verlassen mehrere Familien gleichzeitig die inzwischen bevölkerte Stadt Santa Cruz de Tenerife und gründen Montevideo in Uruguay, einige Jahre später eine andere Gruppe die Stadt San Antonio in Texas.
Die kanarische Auswanderung nach Lateinamerika, an erster Stelle nach Venezuela, Kuba und Hispaniola, war auch bedingt durch Angriffe der Korsaren und Piraten, den Zusammenbruch der jeweiligen Monokulturen (Zuckerrohr, Wein), durch Hunger aufgrund langer Dürreperioden und durch folgenschwere Vulkanausbrüche, wie 1706 die Zerstörung des wichtigsten Hafens Garachico auf Teneriffa. Eine große Auswanderungswelle fand zwischen 1936 und 1945 statt, in der Zeit während und insbesondere nach dem Spanischen Bürgerkrieg. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Emigration legalisiert, so dass in wenigen Jahren etwa 100.000 Menschen (von etwa 700.000 Gesamteinwohnern) die Inseln in Richtung Venezuela verließen. Venezuela wird auf den Kanaren deshalb häufig als Die achte Insel bezeichnet. Viele dieser Auswanderer, oder ihre Kinder bzw. Enkel, sind mittlerweile zurückgekehrt. Durch den jahrhundertelangen Austausch zwischen den Kanariern auf beiden Seiten des Atlantiks sind viele Elemente der südamerikanischen Kultur und des Sprachgebrauches auf Teneriffa heimisch geworden. Zahlreiche Eigenheiten, besonders des karibischen Spanisch, haben sich mit dem Spanisch der Inseln vermischt.

5. Teneriffa – Kulturelle Aspekte
Die kulturbestimmenden Elemente, die man auf der Insel findet, sind erwartungsgemäß ein Mix aus verschiedenen Strömungen: so verfügt Teneriffa über einen modernen vom Architekten Calatrava entworfenen Konzertsaal, das Auditorio in Santa Cruz, an dem bekannte Orchester Gastspiele geben. Kulturelles Zentrum der Insel ist die immer mehr mit der Hauptstadt zusammenwachsende Bischofs- und Universitätsstadt La Laguna. Dort gibt es ein bedeutsames Theater (Teatro Leal) sowie eine Vielzahl von kleineren Bühnen. Die über 200 Jahre bestehende Universität von La Laguna (ULL) hat ihre Schwerpunkte in der Medizin, in den Naturwissenschaften, dort insbesondere Astrophysik, und in den Geisteswissenschaften.

An der Fakultät für Philologie gibt es eine Arbeitsgruppe von kanarischen Literaten, die auch gute Verbindungen nach Deutschland haben, unter anderem zur Deutsch-Kanarischen Gesellschaft in Berlin. Ich habe in den letzten Jahren während meiner Aufenthalte enge Kontakte zu diesen Personen aufgebaut und hieraus ist gerade das in diesem Verlag von mir herausgegebene Buchprojekt mit einigen der auf Teneriffa beheimateten Autoren entstanden. Einheimische Poeten haben einige ihrer bislang unveröffentlichten Gedichte eingereicht, von denen ich 17 Werke ausgewählt habe und die ich jetzt in einer zweisprachigen Ausgabe (Spanisch im Original und ins Deutsche übertragen) herausgebe, dezent illustriert mit eigenen Fotografien. Gelayoutet, gedruckt in Deutschland unter dem Titel „Teneriffa: Wortlandschaften“, aber mit dem Ziel, wie es im Vorwort dieser Anthologie heißt, „durch die Gedichte zum Ausdruck zu bringen, Teneriffa als einen ganz besonderen autochthonen Lebensraum zu betrachten, in dessen tiefem Inneren so wie der Vulkanismus eine mystische, spirituelle Wirklichkeit schlummert“.

Teneriffas Kultur des Alltags hat auch stark folkloristische Züge: Musik, Tanz, auch der dem Sumo-Ringen ähnliche Kanarische Kampf (lucha canaria) gehören dazu. Bedingt durch die Historie zeigen sich klare Einflüsse vom spanischen und portugiesischen Festland, aber auch aus den Quellen Südamerikas wurde geschöpft.

Das tägliche Leben der immer noch stark von Krise und Arbeitslosigkeit, vor allem der Jugend, gebeutelten Bevölkerung kann am besten durch die „drei F“ beschrieben werden: festivos, fiestas, fuegos. Feiertage, Feste und Feuerwerke, letztere erhellen den klaren Nachthimmel bei jeder Gelegenheit. Es gibt zahlreiche, auch lokale Feiertage, die auch langjährige Inselkenner immer wieder faszinieren, z.B. Tag der heiligen Carmen als Schutzpatronin der Seeleute, an dem ganze Ziegenherden im Meer gebadet werden, oder der Tag des Kreuzes für alle großen und kleinen Gemeinden, die den Bestandteil „Cruz“ im Namen tragen. Ganz zentral ist die Bedeutung des Carnaval, der ja auch in Düsseldorf durch die langjährigen Partnerschaften mit Puerto de la Cruz gut bekannt ist, der aber eher dem Karneval in Rio gleicht.

Zwischen dem Weltlichen und dem Religiösen vereinigen sich Geschichte, Kultur und Identität, um die typischsten Volksfeste der Insel zu feiern: Die Romerías. Hier kommen die Einheimischen in traditionellen Bauerntrachten gekleidet zusammen, um dem Landleben zu huldigen, heimische Weine zu kosten, sowie Ziegen- und Rindfleisch zu essen. Und all dies unter dem Mantel der religiösen Verehrung von Heiligen. Zu den heutigen Romerías gehören Vorführungen autochthoner Sportarten, wie Hirtensprung, Stabkampf oder Kanarischer Ringkampf, sowie Vorführungen der Arbeiten auf dem Lande, die die Wertschätzung der kulturellen Wurzeln erhöhen, wie z. B. das Dreschen von Getreide oder das Melken von Ziegen und Kühen, sowie Darbietungen des Kunsthandwerks. Die Romerías sind Volksfeste auf den Straßen, aber vor allem das praktizierte Bedürfnis, die alten Traditionen des Landlebens der einzelnen Inselorte lebendig zu erhalten. Jede Romería hat ihre Besonderheiten, ihren eigenen Geschmack, Gerüche, Trachten und Klänge.

Zu guter Letzt ist natürlich auch Essen und Trinken auf Teneriffa ein Kulturelement: neben dem schon erwähnten kanarischen Wein, der in vielen Familien hauptsächlich für den eigenen Bedarf, aber auch zur Ergänzung des Einkommens, angebaut wird, hat sich eine nur auf Teneriffa verbreitete besondere Art der Bewirtung etabliert: die Guachinchen. Dabei handelt es sich um kleine Räumlichkeiten, häufig auch nur um Garagen oder Ställe, in denen – ähnlich den bei uns bekannten Besen- oder Straußenwirtschaften – zu dem reichlich fließenden einheimischen Wein lokale Speisen, meist in einfacher aber landestypischer Weise angeboten werden. Kein Bier, kein Kaffee und nur so lange im Jahr geöffnet, bis der Weinvorrat erschöpft ist, dafür aber ohne Steuerpflicht. Woher der Name kommt? Vermutlich ist er nicht von den Guanchen abgeleitet. Aber er könnte von den englischen Händlern stammen, die ihre Arbeiter bei der Weinverarbeitung mit dem Hinweis „I’m watching you” vom übermäßigen Verkosten abhalten wollten. Die Atmosphäre in diesen vor allem im Nordteil der Insel sehr üblichen Guachinchen ist allerdings nur schwer zu vermitteln, wenn man sie nicht aus eigener Anschauung erlebt hat…

Literatur
Carlos Müller, Die Kanarischen Inseln, Dagmar Dreves Verlag, Celle 2005.
Gerta Neuroth (Hrsg.), Kanarische Inseln, eine literarische Einladung, Wagenbach, 2010.
http://blog.wandern.de/unesco-erklaert-anaga-gebirge-auf-teneriffa-zum-biosphaerenreservat/
www.carlos-mueller.de,
www.todotenerife.es