Lesen ist sinnliches Erleben

 

Besser als Kurt Tucholsky kann man es nicht ausdrücken:

“Manchmal, o glücklicher Augenblick, bist du in ein Buch so vertieft, dass du in ihm versinkst – du bist gar nicht mehr da. Herz und Lunge arbeiten, dein Körper verrichtet gleichmäßig seine innere Fabrikarbeit, – du fühlst ihn nicht. Du fühlst dich nicht. Nichts weißt du von der Welt um dich herum, du hörst nichts, du siehst nichts, du liest. Du bist im Banne eines Buches.”

Gemeint ist also das tief beglückende Gefühl, das sich offenbar nur durch eine fließende Interaktion mit dem Text einstellen mag, so dass die Zeit quasi “im Fluge vergeht”. Der Mainzer Buchhistoriker und Gutenberg-Biograf Stefan Füssel formuliert dies sogar als eine anthropologische Grundtatsache : “Ein intensives Lesevergnügen entsteht nur dort, wo sich jemand über eine Buchseite beugt, Genuss und Nachdenklichkeit hängen ab von der Sinnlichkeit von Papier und Einband, von der augenfreundlichen Kontur und Tiefe einer gedruckten Schrift.”

 

Besonderheiten des gedruckten Buchs

Ein Buch, zumal ein schön gestaltetes, ist ein unikaler Gegenstand: Man kann es verschenken, verpacken, es einem lieben Menschen widmen oder vererben, man kann das Papier und den Einband sinnlich erfassen, nämlich visuell, haptisch und olfaktorisch spüren, das Umblättern der Seiten hören. Ein Buch lebt, es verändert seinen Zustand während des Lesens und im Laufe der Jahre, zuweilen auch der Jahrhunderte, und geht dabei durch viele Hände. Die durch ein Exlibris oder andere Besitzvermerke nachweisbare Provenienz ist ein bedeutsamer Faktor für den Wert eines Buches. Dabei behält es seinen Inhalt stets in unveränderlicher Form, abgesehen vielleicht von kleinen Refugien für den Bücherwurm. Heute noch können wir Texte aus der Wiegenzeit des Buchdrucks, den sog. Inkunabeln, lesen in einer Qualität, als wären sie gestern entstanden.

Kaibara Ekiken, einer der bedeutendsten Universalgelehrten und Weisen, die Japan hervorgebracht hat, meint dazu:

„Die Freude beim Lesen eines Buches ist groß. Wenn das Herz bei der Ansicht von Bergen und Bäumen bewegt wird, so machen es Bücher still und friedvoll. Bücher bereichern, ohne dass wir irgendwelche Dinge erwerben müssen. Keine Freude ist ein angemessener Ersatz für die Freude, die aus der Lektüre eines Buches entspringt. Bücher machen  bekannt mit den positiven und negativen Gesetzen von Himmel und Erde. Sie rufen in uns die Tage der fernsten Vergangenheit wach und erlauben uns, in der ganzen Welt frei umherzuschweifen. Groß ist die Macht der Bücher!”